Guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste,
ich freue mich über die Gelegenheit, Sie in diese neue Ausstellung einführen zu dürfen. Sie sehen hier Modelle, die aus der Handweb-Manufaktur „Bohnet-Modelle“ in Zwiefaltendorf stammen. Mit der Bezeichnung „Handweb-Manufaktur“ sind wir schon direkt bei der Besonderheit des Unternehmens von Anneliese Bohnet – später Müller-Bohnet – angekommen: die Stoffe für die Kleider wurden von Hand gewebt und anschließend auf individuelles Maß einzeln genäht. Die hohe Qualität der verwebten Garne, das sorgfältig durchdachte und schnörkellose Design der Entwürfe sowie die gute Verarbeitung zu einem Kleidungsstück machten die Modelle aus Zwiefaltendorf zu etwas Besonderem. Mit einem Bohnet-Modell war man in der Lage, mehrere Jahre mit wenigen Stücken immer passend gekleidet zu sein.
Diese Gedanken von Hochwertigkeit, von Sorgfalt und von Langlebigkeit habe ich an den Anfang meiner Ausführungen gestellt, weil sie genau das beinhalten, was wir heute mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ verbinden. Hier begegnen wir in einem anderen zeitlichen Kontext den gedanklichen Ansätzen im Umgang mit unserer Kleidung, die wir heute wieder neu für uns entdecken. „Use less“, also „weniger zu verbrauchen“ wurde uns schon vorgelebt. Hierin liegt die Aktualität dieser Ausstellung über eine Mode aus früherer Zeit.
Nun möchte ich Sie zeitlich der Reihe nach diesen Kleidern näherbringen.
Anneliese Bohnet wurde 1919 als Tochter eines Lehrers im Umland von Ludwigsburg geboren. Nach der Schule absolvierte sie dort eine Schneiderlehre. Nicht nur, dass sie in den 1930er Jahren überhaupt einen Beruf erlernen durfte – sie wollte ihre Ausbildung vertiefen mit einem Studium an der Kunstgewerbeschule in Stuttgart. Dort absolvierte sie Aufgaben wie Entwurfszeichnen oder Handweben.
So gerüstet trat sie ihren Berufsweg als Entwurfsdirektrice in Textilfirmen an – zunächst auf der Schwäbischen Alb und danach in Italien, was zu der damaligen Zeit sehr ungewöhnlich und mutig war. Als sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, arbeitete sie für die Zellwoll-AG in Kehlheim.
Nach Kriegsende stand sie genauso vor dem Nichts wie die meisten anderen Menschen auch. Um eine Perspektive zu haben, machte sie sich innerhalb kürzester Zeit selbständig mit einem „Studio für dekorative Kunst“. Das Material für textiles Arbeiten war quasi nicht vorhanden, es mangelte an allem. Das brachte Anneliese Bohnet auf den Gedanken, aus vorhandenem Material neues zu stricken und zu weben – das hatte sie gelernt. In einer späteren Rede erzählte sie selbst über ihre Anfangszeit:
„Aber für mich war nicht einmal eine gebrauchte Strickmaschine in Sicht. – Nun, man kann ja auch von Hand stricken. So habe ich eben Strick- und Schnittmuster zu geliefertem Kundengarn angeboten und später auch komplette Modelle aus eigenem Wollgarn gemacht, außerdem handgesponnen. Der ganze Aufwand: ein paar Stricknadeln, etwas Zeichenpapier, gute modische Einfälle! Sie glauben nicht, was man alles stricken kann! – Sehr schnell war das Strick-Studio in aller Munde und voll von Strickerinnen und das Herstellungs-Programm umfangreich. Unsere Spitzenleistung waren handgestrickte Schottenröcke und ganze modische Kleider, mit Glockenrock, alles nahtlos gestrickt!“ (1992)
Diese ersten Anfänge finden Sie in der Vitrine rechts neben dem Eingang zu unserer Kapelle ausgestellt. In der Vitrine daneben sehen Sie erste Web-Produkte: mit dem Kauf eines Webstuhls konnte die junge Unternehmerin Deckchen aller Art für den Wohnbereich herstellen, daneben Kissenhüllen und Tischdecken. Schals und Krawatten für den Herrn rundeten dieses Angebot ab.
Nach knapp zwei Jahren wurde ihre Wohnung im Schloss Ossweil bei Ludwigsburg gekündigt. So sah sich Anneliese Bohnet 1948 gezwungen, ein neues Domizil für sich selbst und ihr junges Unternehmen zu suchen. Durch Vermittlung eines früheren Lehrers lernte sie das Schloss in Zwiefaltendorf kennen und „verliebte“ sich in den schönen Ort. Eigentlich war das Objekt etwas zu groß, aber sie wagte auch diese Entscheidung und blieb dort bis zur Abwicklung ihrer Firma über 20 Jahre später, im Jahr 1970.
Von da an konzentrierte sie sich auf die Herstellung von Damenkleidern. Sie kaufte weitere Webstühle und besuchte die ersten Messen im Nachkriegsdeutschland, um ein solides Geschäft aufzubauen. Das war in der damaligen Zeit nicht einfach. Aus Briefwechseln geht hervor, dass es für die junge Unternehmerin eine Schwierigkeit war, an Garne zu kommen. Man musste nicht nur auf vielen Ämtern um Genehmigungen und Berechtigungsscheine bitten, man musste auch viele Kontakte knüpfen und pflegen, und auch dadurch war noch kein Einkauf sichergestellt. Nach einer Reise berichtete sie einer Freundin per Brief ihre Enttäuschung darüber, dass es ihr gelungen war, einen Koffer mit Garn zu kaufen, und dieser ist ihr dann auf der Reise gestohlen worden, so dass alles umsonst war.
Auch sogenannte Kompensationsgeschäfte waren in ihrer frühen Geschäftsphase durchaus üblich: für den Kauf eines Webstuhls musste sie als Beispiel selbst Holz bereitstellen, ihre Kunden bezahlten teilweise mit Naturalien wie Porzellan, Gartenschläuchen, Koffern, Möbeln, Zucker, Weingläsern, Scheren und Fischkonserven. Diese Abmachungen geschahen im Wesentlichen im direkten Kontakt mit Kunden.
Schon 1948 entwickelte sie das Konzept, ihre Kleider auf Messen zu präsentieren und sie dann auf Maß für jede einzelne Kundin individuell zu schneidern und ihr per Post nach Hause zu schicken. Das sich neu entwickelnde Messesystem in Deutschland war historisch gesehen auch ein Gradmesser dafür, dass es mit der wirtschaftlichen Entwicklung langsam bergauf ging, dass die Bevölkerung wieder zu konsumieren begann, oder anders ausgedrückt, sich wieder etwas leisten und aufbauen konnte. Deutschland war schon seit dem Mittelalter ein wichtiges Messe-Land gewesen, aber in Anneliese Bohnets Zeit kam das Modell der sogenannten Verbrauchermessen hinzu.
Diesem Konzept, ihre Modelle ausschließlich auf Messen anzubieten, blieb sie bis zum Ende ihrer Tätigkeit treu, es hatte sich bewährt und ihrer Firma Stabilität gegeben. Es gab Messen wie zum Beispiel die Handwerksmesse in München, die Internationale Bodenseemesse in Friedrichshafen oder den Maimarkt in Mannheim, die sie regelmäßig besuchte. Andere Veranstaltungen probierte sie offensichtlich einmal aus, um sie dann doch nicht mehr zu besuchen. Sie war immer offen für Neues und besuchte auch Veranstaltungen, die es vorher nicht gab.
Von diesen Messen kehrte sie mit vollen Auftragsbüchern zurück, und dann mussten die Kleider hergestellt werden. In Stoßzeiten wie zum Beispiel in der Vorweihnachtszeit zog sie oft Aushilfskräfte in der Werkstatt hinzu, um alles bewältigen zu können – und dabei beschäftigte sie durchgehend über 20 Mitarbeiterinnen. Wie Sie dem schönen Film von Lilian Hess entnehmen können, waren dies ausschließlich Frauen. So kam es schon auch mal zu Ausdrücken wie „Fraueninsel“ oder „Schlossweiber“.
Hierin liegt eine weitere Besonderheit des Unternehmens von Anneliese Bohnet: in einem ländlichen Umfeld bot sie Frauen eine Möglichkeit der Beschäftigung an, die vereinbar war mit deren Lebensumständen. Eine Interview-Partnerin hat mir erklärt, ihr Verdienst wäre zu Beginn der 1950er Jahre komplett von einer Monatsfahrkarte für die Bahn aufgebraucht worden, wenn sie in einer anderen Stadt hätte arbeiten müssen. So aber lebte die junge Frau noch im Haus ihrer Eltern, hatte einen kurzen Fußweg zur Arbeitsstelle im Schloss und konnte sich finanziell etwas aufbauen.
Nur mit Frauen zu arbeiten stellte damals allerdings auch ein unternehmerisches Risiko dar: waren die jungen Mitarbeiterinnen erst einmal verheiratet, so war es üblich, dass sie zu Hause blieben und ein Familienleben führten. Noch immer durfte ein Ehemann darüber entscheiden, ob er es genehmigen wollte, dass seine Frau arbeiten ging. In der fortgeschrittenen Zeit ihrer Unternehmensführung musste sie deshalb ständig Annoncen aufgeben, um Weberinnen zu bekommen.
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass es dem Betrieb von Anneliese Bohnet nicht allein so ging. Alle Handwebbetriebe klagten über Personalmangel. Oft bekamen Weberinnen und Weber in der prosperierenden Industrie höhere Gehälter, und außerdem ging das Interesse an der Handweberei und an handgewebten Produkten insgesamt zurück. Das führte auf der einen Seite dazu, dass immer weniger junge Leute diese handwerkliche Ausbildung anstrebten, die es in der Zwischenzeit als Ausbildungsberuf gar nicht mehr gibt, und dass auf der anderen Seite auch die Kunden häufiger Industrieware kauften, weil sie günstiger war. Hier sehen wir den beginnenden Strukturwandel auf dem textilen Sektor, der sich natürlich noch dramatisch verschärfen sollte, bis hin zu der Situation, in der wir uns heute befinden. Trotz dieser Tendenzen hielt Anneliese Bohnet an ihrem Konzept der handgewebten Stoffe für ihre Entwürfe bis zum Ende fest; allerdings kaufte auch sie in ihrer letzten Phase als Unternehmerin industriell gewebte Stoffe für ihre Produktion hinzu, wenn sie ihrem Qualitätsempfinden entsprachen und preislich attraktiv waren. Aber es war ihr auch nach Abwicklung ihrer Firma immer ein persönliches Anliegen geblieben, sich für den Fortbestand des Handwebens in Form von Verbandsarbeit zu engagieren, viele Jahre davon im Vorstand. Dafür hat der Handwebverband in Sindelfingen sie im Jahr 1992 mit einem kostbaren Ehrenring gewürdigt.
Anneliese Bohnet war eine unermüdliche Zeichnerin – die Ideen für neue Kleider schienen ihr nicht auszugehen. Mit leichtem Stift skizzierte sie unzählig neue Entwürfe, probierte unterschiedliche Kragenlösungen, Ärmelformen oder die Anordnung von gewebten Streifen auf einem Kleid aus. Gleichzeitig probierte sie am Webstuhl unermüdlich neue Webmuster und Farbkombinationen aus. Genau in dieser Kombination lag ihre eigene Handschrift als Modeschöpferin, nämlich in der Verbindung ihrer Webmuster mit geeigneten Kleiderentwürfen. Sie dachte das Kleid vom Stoff aus, das heißt, sie entwarf nicht erst ein Kleid und suchte anschließend den dafür passenden Stoff aus, sondern beides gehörte von Anfang an untrennbar zusammen.
So entstand eine überwältigende Fülle von Schöpfungen, von denen ein ansehnliches Konvolut erhalten geblieben ist, und woraus wir Ihnen eine Auswahl präsentieren können. Dabei war es mein Konzept, Ihnen drei unterschiedliche Themenbereiche anzubieten: Erstens sehen Sie hier einen Reigen von Kleidern, manche davon mit dem für die 1950er Jahre so typischen Bolerojäckchen als Ergänzung. Das gepflegte hochwertige, aber nicht überdekorierte Kleid war eine Spezialität von Anneliese Bohnet. Gerne erzähle ich das vor dem Hintergrund, dass es in den 1950er Jahren modisch zum guten Ton gehörte, sich für jede Gelegenheit des Tages passend anzuziehen. Streng genommen war also eine Dame, die etwas auf sich hielt, ständig damit beschäftigt, sich umzuziehen. Dieses Modeverhalten war der unermüdlichen jungen Modeschöpferin auch persönlich suspekt. Sie wollte Modelle kreieren, die Frauen den ganzen Tag und in jeder Situation tragen konnten, wertig, nicht von der Person der Trägerin ablenkend und doch modisch auf der Höhe. Die Konzeption ist unserer Vorstellung von 24/7-Mode sehr nahe. Auch in unserer Zeit gibt es das Ideal, modebewusste Kleidung zu haben, die von morgens bis abends und an jedem Tag der Woche zu tragen ist. Hierin liegt ein Aspekt der Modernität in Anneliese Bohnets Schaffen.
Ein anderer Schwerpunkt ihrer Entwürfe waren die sogenannten „Boutique-Röcke“. Das waren weit schwingende Röcke, wie sie in den frühen 1960er Jahren hoch aktuell waren. In ihrer Beschwingtheit denkt man an Sommer, an Italien, an Vespa-Fahren, an Jugend.
Im weiteren Verlauf der 1960er Jahre nahm sie Elemente des beliebten Chanel-Stils auf. Auch an ihren Modellen sehen wir stiltypische kleinstrukturierte Gewebearten, kastig geschnittene Jacken mit Bordüreneinfassung sowie dazugehörige schmale, unaufgeregte Röcke.
Neben dieser wesentlichen Gruppierung von Modellen hat Anneliese Bohnet immer wieder Modelle für Mädchen angeboten. Hier können Sie als Besonderheit zwei Festkleider für kleine Mädchen sehen, ebenso wie ein Brautkleid, das aus ihrer Werkstatt stammt.
Gerne stehe ich Ihnen im Anschluss zur Verfügung, um Fragen zur Ausstellung zu beantworten.
Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat, dass ich auf einem maschinengeschriebenen Blatt in den persönlichen Unterlagen von Anneliese Müller-Bohnet entdeckt habe, und dass ihre Arbeit wunderbar auf einen kleinsten Nenner bringt: „Der Platz des Handwebers ist dort, wo das persönliche noch nicht untergegangen ist: Als Gegenpol des Genormten.“
Ich wünsche Ihnen viel Freude bei Ihrem Rundgang durch die Ausstellung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Text: Frau Bauer-Feigel